Ja, ja – ich habe schon so meine Probleme mit den diversen Corona-Lockerungen. Allerdings: weiter alles „zugesperrt lassen“ geht natürlich auch nicht.

Die Corona-Situation hat sich deutlich entspannt. Das sieht man hier sehr schön an den Neuinfektionen. Dem kann und darf man sich auch als eher vorsichtiger Zeitgenosse nicht verschließen. Corona ist aber deswegen auch keinesfalls auf einmal harmlos geworden oder gar verschwunden. (Grafik: Rainer Gerhards, Daten: RKI)

Die Politik sagt dazu schön „die Entscheidung dem Einzelnen überlassen. Hört sich gut an. Erfordert aber auch, dass der Einzelne gut informiert ist und bereit, sich mit seiner Situation und der seiner Mitmenschen auseinander zu setzen. Das ist gerade bei den größten „Lockerungs-Fans“ nicht immer unbedingt zu erkennen.

Ich gebe aber zu: auch ich sehe viele Lockerungen mittlerweile als sinnvoll an. Ein Shutdown ist schnell getan und bringt garantiert Erfolg. Danach das Land wieder sinnvoll hochzufahren und mit vertretbarem Risiko zu lockern ist ungleich schwieriger. Und dabei ist auch kein Erfolg garantiert. Im Gegenteil: es wird bestimmt den einen oder anderen Rückschlag geben. Notwendig sind Lockerungen trotzdem.

Wir akzeptieren viele Risiken, wägen oft Nutzen gegen Risiko ab. Sonst würden wir wohl kaum Straßenverkehr erlauben. Immerhin gut 3.000 Verkehrstote gab es 2019 in Deutschland. Und sicherlich auch viele Schwerverletzte. Risikofreiheit? Kennen wir nicht. Macht auch keinen Sinn.

Das Coronavirus ist aber immer noch neu für uns. Wir tun uns schwer mit der Risikoabschätzung. Man weiß auch noch so furchtbar wenig. Prominentes Beispiel: verbreiten Kinder jetzt die Infektion – oder nicht? Es gibt Studien für und wider, und die meisten davon dürften seriös sein. Das Problem hinter der Diskussion sind vermutlich die viel zu geringen Erfahrungen: durch den Shutdown weltweit konnte man schlichtweg nicht genug Daten sammeln. Will man das machen, muss man Risiken eingehen. Dabei die Daten gewinnen. Klingt nach „Experimenten mit Menschen“ – und das ist es auch. Da man aber so oder so die Kitas öffnet, sollte man dabei auch Erkenntnisse gewinnen.

Sicher und (eigentlich…) unstrittig ist aber: Das Virus ist immer noch da. Wir haben immer noch keine Medizin gegen Corona und auch keine Impfung. Ein „ganz normal, weiter so wie früher“ kann es daher leider nicht geben. Wir müssen uns dem aber weitest möglich annähern. Machen wir das geschickt, wird bestimmt vieles wieder funktionieren. Auch die Forschung zeigt ermutigende Ansätze. Allerdings: Einiges wird auf absehbare Zeit nicht möglich sein. So sieht z.B. auch der Ticket-Händler Eventim keine Chance für Konzerte und ähnliche Großveranstaltungen.

Wir müssen aber auch lernen, gut miteinander zu diskutieren und uns auf die Argumente des Gegenübers einzulassen. Wir brauchen einen breit akzeptierten Mittelweg. Und auch die Bereitschaft, Normalität notfalls wieder etwas zurück zu nehmen. Wenn es halt wirklich erforderlich ist.

Die notwendigen Lockerungen funktionieren nämlich nur, wenn sich die Mehrheit damit einigermaßen wohl fühlt. Es hilft z.B. der Gastronomie wenig, wenn alles wieder offen ist – und nur ein Bruchteil der früheren Gäste kommt. Es braucht also ein gutes Gefühl. Auch muss man bereit sein, in sinnvollen Grenzen, unterschiedliche Ansichten zu tolerieren. Denn die geforderte „Individuelle Entscheidung“ heißt natürlich auch, dass jeder seine eigene Position finden und vertreten muss. Ich persönlich bin z.B. immer noch der Meinung, dass physische Treffen für mich meist nicht sinnvoll sind. Und rate, zumindest in Innenräumen, aktuell meist davon ab. Auf der anderen Seite habe ich aber sehr wenig Bedenken gegen einen Besuch z.B. im Biergarten. Aussenbereich erleichtert die Entscheidung sehr!